Woran glauben wir?
FONTANA DI LUSSEMBURGO
Der junge Künstler Jeremy Palluce begann bereits sehr früh mit seiner künstlerischen Arbeit. Im Gespräch mit ihm ist schnell zu spüren, dass die Kreativität sein Zuhause ist, so wohl fühlt er sich bei ihr: wohl genug, um mit so unterschiedlichen kreativen Welten zu experimentieren wie mit Graffiti, Mode und zeitgenössischer Kunst; und wohl genug, um mit seinem Diskurs zu provozieren und zugleich eine große Feinfühligkeit an den Tag zu legen. Seine Arbeit stellt Schnittstellen zwischen der Straße, einer so kritischen wie leidenschaftlichen Reflexion über die Kunst und einer großen Lebensfreude her und kleidet sich dafür in extrem unterschiedliche Formen. Zeitgleich erleben wir die sich vollziehende Suche und eine Reihe von Ergebnissen, ein zugleich intuitives wie ausgeklügeltes Vorgehen.
Der Prozess, in dem Jeremy Palluce der Einladung nachkommt, ein Kunstwerk zum Thema Eigentum in Form eines »Wunschbrunnens« zu schaffen (Passanten können eine Münze hineinwerfen und damit ein Gebet, einen Wunsch, ein Verlangen zum Ausdruck bringen), nimmt eine Überlegung über den Lebensstil in Luxemburg zum Ausgangspunkt. Die meisten Luxemburger besitzen im Alter des Künstlers (28 Jahre) bereits ein Auto, ein Haus, und führen ein sehr viel komfortableres Leben als die meisten anderen Menschen auf der Welt. Doch Jeremy Palluces Überlegungen zum Thema »Geld macht nicht glücklich« erhält schnell weitere Nuancen, indem er ihnen den Gedanken des »Wunschs« an die Seite stellt und damit den Begriff des Glaubens ins Spiel bringt. Diese Volte ähnelt in gewisser Weise dem Vorgang, in dem die Geste, »eine Münze wegzuwerfen« (also etwas Wertvolles), zu einem Moment des Gebets werden kann, einem Moment, in dem wir an unseren »teuersten« Wunsch denken.
Natürlich bezieht sich dieses Werk auf die Fontana di Trevi, für den Künstler ein zweiter Verweis auf seine italienische Großmutter, die diesen römischen Brunnen früher Jahr für Jahr besuchte; daneben aber verweist hier »ein junger Luxemburger Künstler augenzwinkernd auf eine bereits etablierte Luxemburger Künstlerin«, hat doch der Unterbau der Fontana di Lussemburgo identische Maße wie der von Many Spoken Words von Su-Mei Tse. Andere Elemente dieses Werks oszillieren in ihrer Symbolik zwischen Gesellschaftskritik und dem Gedanken der Andacht: die Verehrung des Geldtopfes (Sockel), der Begriff des »Herdenmenschen« (Viehtränke), eine Zusammenkunft von Gläubigen oder Verwandten (Kissen auf dem Kies, inspiriert von Gärten und Architektur in Japan).
Für die Vernissage der Ausstellung ist eine Performance geplant: »Rund um den Brunnen sitzen mehrere Jugendliche, rauchen Joints oder Zigaretten, trinken Alkohol und machen es sich gemütlich. Dabei werfen sie 1-Cent-Stücke in den Brunnen«, erklärt der Künstler. Während der Performance hört man eine Stimme, nämlich die seines Vaters: »Such dir eine Arbeit, du musst Geld verdienen, eine Wohnung kaufen, werd endlich erwachsen« usw.
Die Stimme des Vaters suggeriert also – wie die Gesellschaft, in der Jeremy Palluce aufgewachsen ist –, dass man als junger Erwachsener glücklicher wird, wenn man als Hausbesitzer daran arbeitet, sein Kapital zu vermehren; dem stellt der Künstler mit seiner Fontana di Lussemburgo eine Antwort entgegen, die hinterfragt, was uns wirklich glücklich macht, und dabei bestimmte mögliche Antworten andeutet, etwa die Gemeinschaft. Der kollektive Ansatz des Werks während der Performance, ganz wie die Aufforderung an das Publikum, zu dem Werk beizutragen (indem es einen Teil seines Besitzes, eine Münze, dort hinterlässt), ist ein Element, das sich in der Arbeit des Künstlers wiederholt findet. So arbeitet er bei seinen Projekten mit anderen Künstlern und mit Freunden zusammen und bezieht häufig das Publikum seiner Ausstellungen in die Weiterentwicklung der Werke mit ein.
Mit der Bezugnahme auf seine Großmutter und auf eine Künstlerin einer früheren Generation unterstreicht der Künstler schließlich die Bedeutung des immateriellen Erbes (oder Kapitals), das wir alle in uns tragen.
Artist's Statement
Eigentum ist das was wir besitzen. „Wir“ heißt ich, du, die Natur, die Welt. Besitz ist ein vielfältiger Begriff, es kann unser Geld, unser Umfeld, die Natur, unsere Gefühle, unser Glaube sein.
In unserer Gesellschaft herrscht eine vom Kapitalismus geprägte Definition dieses Begriffes. Menschen kaufen Häuser um eine gewisse Art Sicherheit zu erzwingen, die sie abends gut schlafen lassen soll, vergessen jedoch, dass Eigentum über das Physische hinausgeht, das mentale Eigentum. Eigentum ist für mich mentaler Reichtum in Form von Träumen, Visionen, Liebe und Hoffnung. Sinn meines Werkes der Ausstellung „Störende Wahrheiten“ ist es, die physische und mentale Ebene zu vereinen.
Biografie
Jeremy Palluce wurde am 5. Dezember 1994 in Luxemburg geboren.
Nach der Grundschule besuchte er das Lycée de Garçons in Esch-sur-Alzette bevor er 2010 auf das Lycée des Arts et Métiers wechselte und die dreizehnte Klasse abschloss.
2015 absolvierte Jeremy ein Studienjahr an der Universität Paul Valéry in Montpellier im Fach Bildende Kunst. 2016 zog er nach Freiburg-im-Breisgau um dort seinen Bachelor of Fine Arts zu beginnen. Nach erfolgreichem Abschluss entschied Jeremy sich ein weiteres Masterstudium in Fashion Design in Basel anzugehen, welches er im Februar 2023 abschließen wird.
Während dieser Jahre des Kunststudiums hat Jeremy aktiv an internationalen Solo- oder Gruppenaustellungen teilgenommen. In Luxemburg hat er eine visuelle und akustische Welt erschaffen.